Vom 15. bis zum 30. September 2025 besuchte Prof. Dr. Oliver W. Lembcke, Professor für Politikwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum auf Einladung des Deutsch-Ungarischen Instituts für Europäische Zusammenarbeit als Visiting Fellow die Bildungszentren des Mathias Corvinus Collegium in Pécs und Veszprém. Vor vielen interessierten Gästen in beiden Städten sprach er über das Thema „Kulturkampf in Deutschland - Politik und Gesellschaft im Zeitalter der Polarisierung” und widmete sich den Kernfragen: Wie gespalten ist Deutschland – und welche aktuellen Konflikte gibt es?

 

Während die Gefährdung der Demokratie von außen, etwa durch die russische Aggression, in Deutschland ausführlich diskutiert wird, übersehen viele die innergesellschaftlichen Risiken. In den USA war der jüngste Angriff auf Charlie Kirk ein Ausdruck eines Kulturkampfes zweier verfeindeter Lager. Ein angemessener Umgang damit gestaltet sich in den deutschen Medien schwierig, und die polarisierende Berichterstattung stieß auf viel Kritik.

Die Themen des Kulturkampfs sind vielfältig. Lembcke nannte als Beispiel die sogenannte Cancel Culture, insbesondere an Universitäten. Auch Identitätspolitik spielt dabei eine zentrale Rolle. Emotional aufgeladene Themen wie Wokeness und Gendern belasten zunehmend auch familiäre und freundschaftliche Beziehungen. Weitere Streitpunkte sind Religion, Migration, Diversität, Erinnerungskultur, Medien und Diskussionskultur. Doch ist Deutschland wirklich so gespalten?

Lembcke definierte den Kulturkampf als grundlegenden Kampf um Werte und Identitäten. Das Problem: Kompromisse seien hier nur schwer möglich, da Fragen von Identität und Überzeugung kaum verhandelbar sind. Historisch verwies er auf Bismarcks Auseinandersetzung mit der Kirche, die damals viele Lebensbereiche dominierte. Infolge dieses „Kampfes“ zogen sich die Katholiken vom Staat zurück und bildeten eigene Milieus.

Ein Brennpunkt heutiger Konflikte ist der Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschland. Der Osten sei tendenziell älter, ärmer, misstrauischer, konservativer und kritischer gegenüber der Ukraine. Polarisierung zeige sich jedoch nicht nur zwischen Ost und West, sondern auch zwischen höher und geringer Qualifizierten sowie zwischen Berufsgruppen. So unterscheiden sich etwa die meist eher rechtsorientierten Kleinunternehmer deutlich von den überwiegend linken Kulturschaffenden. Dennoch sind die Gruppen nicht in allen Feldern klar links oder rechts: Wer verteilungspolitisch links denkt, kann in Migrationsfragen durchaus konservative Ansichten vertreten.

Lembcke zufolge ist die deutsche Gesellschaft zwar im Durchschnitt eher links-progressiv geprägt, doch gibt es keine starren, einander ausschließenden Lager – so findet man ebenso rechte Manager wie linke Selbstständige. Deutschland ist also weniger gespalten, als viele glauben. Größere Trennlinien verlaufen eher zwischen Partikularismus und Universalismus als zwischen Markt und Staat; Migration wirkt daher besonders polarisierend. Das erklärt auch die starken Gegensätze zwischen AfD und Grünen.

Als zentrale Auslöser wachsender Spannungen nannte Lembcke:

• das Gefühl der Ungleichbehandlung, etwa durch Sonderrechte für Minderheiten und Quoten;

• das Empfinden von Kontrollverlust, etwa durch massenhafte illegale Migration;

• sowie „Verhaltenszumutungen” wie Sprechverbote oder Sprachreformen aus Gründen politischer Korrektheit.

In der Veszprémer Fragerunde ging es um die Rolle der USA. Lembcke sieht den Kulturkampf dort deutlich weiter fortgeschritten. Die starke Polarisierung liegt am Wahlsystem mit nur zwei dominierenden Parteien, die sich gegenseitig nicht anerkennen und jeweils das Ende der Demokratie heraufbeschwören, sollte die andere Seite regieren. Auch in Europa gehe man oft falsch mit der Opposition um. Setze sich dieser Trend fort, sei die Demokratie gefährdet.

In Pécs fragte man, welche Parteien keine Polarisierung anstreben, um Profit zu schlagen. Lembcke zufolge hätten die Regierungsparteien keinerlei Interesse zu polarisieren, sondern wollen stattdessen in Ruhe arbeiten. Lediglich beim Werben um Stimmen bediene man sich der Polarisierung als Stilmittel. In der Regel müssen sie sich aber für ihre Politik verteidigen. Deswegen sei die Dynamik von Opposition und Regierung auch ein Zusammenspiel zwischen „Beruhigern“ und „Regierern“. Daraus konstruiert er keinen Vorwurf an die Opposition, denn das sei schließlich ihre Aufgabe, eine Regierung sollte jedoch mehr Souveränität ausstrahlen. Die Ampel-Regierung bezeichnete er als Sonderfall, da viele Streitigkeiten nach außen gelangten, weswegen sie vermehrt Ablehnung erfahren hat.