Deutschland hat seit dem 6. Mai 2025 einen neuen Bundeskanzler. Der 69 Jahre alte CDU-Politiker, Friedrich Merz, trägt seitdem gemeinsam mit 17 Ministern die Verantwortung dafür, die Bundesrepublik wieder stark zu machen. In einer Koalition mit der SPD verspricht die neue Regierung, Verantwortung für Deutschland zu übernehmen. Wie sieht es vier Monate nach der Bundestagswahl und beinahe zwei Monate nach der Kanzlerwahl damit aus? Diese Frage versuchte Prof. Dr. Frank-Lothar Kroll, Geschichtsprofessor an der Technischen Universität Chemnitz, bei einer am 30. Juni 2025 veranstalteten Podiumsdiskussion des Deutsch-Ungarischen Instituts für Europäische Zusammenarbeit im MCC-Bildungszentrum in Békéscsaba zu beantworten. Die Veranstaltung, an der rund 30 Personen teilnahmen, wurde vom außenpolitischen Journalisten der Redaktion Mandiner, Mátyás Kohán, moderiert.
Die Podiumsdiskussion wurde mit herzlichen Worten der Leiterin des Trainingszentrums des MCC Békéscsabas, Mónika Mittag, eröffnet. Sie betonte, dass es in diesem Format um den Dialog untereinander gehe. Als Ungar bekomme man nun die Möglichkeit, die Meinung eines Deutschen über sein eigenes Land aus erster Hand zu hören. Ebenfalls bekomme das Publikum Gegen Ende Raum für Fragen.
Die erste Frage Koháns richtete sich danach, zu erfahren, wie Deutschland 2025 überhaupt aussehe. In kurzen Worten fasste er zusammen, welches Bild die Menschen in Ungarn noch immer von Deutschland haben – ein wirtschaftlich prosperierendes, sicheres und ordentliches Land. Kroll beschrieb als Antwort eine exemplarische Anekdote aus seinem persönlichen Leben. Er habe neben seiner Wohnung in Budapest einen Mittefünfzigjährigen ungarischen Nachbarn, der stets von Deutschland schwärmte. Sein Nachbar erzählte ihm bei jeder Gelegenheit, wie toll doch alles in Deutschland sei und das er unbedingt noch einmal das heutige Deutschland sehen wolle. Kroll habe daraufhin nachgefragt, wann er denn zuletzt in Deutschland vor Ort gewesen sei. Die Antwort des Mannes entnebelte die Unverständlichkeit Krolls, denn er habe das letzte Mal 1984 Deutschland bereist. Dies sei nach Kroll ein gutes Beispiel dafür, dass die Realität des Ist-Zustandes Deutschlands im Ausland noch nicht angekommen sei. Die Probleme Deutschlands sind heute vielfältiger denn je und beinahe in jedem Sektor zu spüren. Zwar habe Deutschland im europäischen und erst recht im globalen Vergleich weitergehend ein sehr hohes Ansehen, doch sei dies, verglichen an sich selbst, in den letzten Jahren nur schlechter geworden. Seien es die vielen Rückgänge von Unternehmensgründungen, die hohe Arbeitslosquote, die steigende Kriminalitätsrate oder die kaum aufhaltbare Überfremdung des Landes – all das sei das Abbild einer nicht mehr zu leugnenden Realität. Deutschland gehe es nicht mehr gut. Für Kroll merke man dies bereits an den kleinen Dingen. – Zum Beispiel wie die Sauberkeit auf den Straßen oder die „Pünktlichkeit“ der Deutschen Bahn.
In einer zweiten Frage ging Kohán den ambivalenten Wahlergebnissen der Bundestagswahl 2025 auf den Grund. Denn seiner Auffassung nach sei die letzte Wahl in Deutschland eine sehr entscheidende und angespannte gewesen. Dies merke man ebenfalls an der hohen Befürwortung der politischen Extreme in der Bevölkerung; sowohl die Linke als auch die AfD verzeichneten einen erheblichen Wahlerfolg. Jedoch sehe er in der neuen Regierung, keine Interessen dieser Lager abgedeckt. Könne man also noch davon sprechen, dass die Deutschen das bekommen haben, was sie sich gewünscht hatten?
Kroll erklärte sehr präzise anhand von Grafiken, wer die eigentlichen Wahlverlier der letzten Bundestagswahl waren. Auffallend sei besonders das schlechte Wahlergebnis der SPD – also den Sozialdemokraten – mit lediglich noch 16 % Zustimmung in der Bevölkerung. Nichtsdestotrotz würde man genau diese Partei nun in der neuen Bundesregierung antreffen. Sie haben es geschafft, trotz einer katastrophalen Regierungspolitik, dieselbe Anzahl wie die CDU von 7 Ministerpositionen in der Regierung zu übernehmen. Parallel zu diesen Ereignissen sehe man, wie eine Partei mit ca. 20% der Stimmen keine Regierungsverantwortung anvertraut wurde. Herr Kroll sprach von der AfD. Diese hatte in der diesjährigen Wahl einen 100% Zuwachs der Stimmen und damit 152 Abgeordnetenplätze im Bundestag gewonnen. Umgerechnet bedeutete dies, dass jeder fünfte Wähler in Deutschland, sich für diese Partei entschied. Doch leider müsse man nach Kroll konstatieren, dass die Interessen ihrer Wählerschaft in der neuen Regierung keinen Platz gefunden haben. Somit seien die eigentlichen Wahlverlierer der Bundestagswahl, die Bürger selbst.
Nach einem weiteren spannenden Austausch zwischen den beiden Gesprächspartnern über Migrations-, Außen-, Innenpolitik und eines potenziellen AfD-Verbots eröffnete Kohán die Fragerunde für das Publikum. Aus dem Publikum meldete sich ein ungarischer Lehrer zu Wort. Er wünschte zu wissen, wie gerecht den die deutsche Demokratie derzeit sei. Er verstehe, dass man „Nazis“ davor aufhalten wolle, die Republik und Demokratie zu stürzen. Aber wäre man genauso rigoros gegenüber einer eindeutig islamistischen Partei wie gegenüber der AfD? Kroll gestand, dass er mit dieser Frage genau den Finger in die Wunde gelegt habe. Diese Frage ehrlich zu beantworten, würde den meisten Menschen in Deutschland wahrscheinlich schwerfallen. Zu steif sei der Blick nach Rechts verlagert worden. Beispielsweise siehe man bei genauerer Betrachtung, dass schon kommunistische bzw. im Kern stalinistische Parteien in Deutschland nicht kritisch hinterfragt werden. Daher bezweifle er, dass man sofortige Maßnahmen bei einer islamistisch geprägten Partei ergreifen würde.
Zum Ende der Podiumsdiskussion bedankte sich Mónika Mittag im Namen des MCC bei den Teilnehmern und Gästen für ihr Kommen. Sie betrachtete den Abend als weiteren Erfolg zur Erhaltung der Deutsch-Ungarischen Freundschaft. Im Anschluss des ausführlichen Dialogs gab es zur Freude Vieler eine Einladung zur Weinverkostung. Diese wurde von dem Winzerhoff Heimann aus Szekszárd präpariert. Der von Donauschwaben geführte Familienbetrieb stellt bereits seit 1758 n. Chr. Wein in Ungarn her und sieht sich damit tief in die ungarische Kultur eingebettet. Die Gäste bekamen ein breit gefächertes Sortiment an köstlichen Weinsorten – von Merlot, Pinot bis hin zu Kardaka – angeboten. Damit war die MCC-Veranstaltung ein Ort der Begegnung und des Austauschs für alle Interessierten gewesen.